Fahrlässige Tötung

Die Augen leicht zusammengekniffen, die Unterlippe zittert, Tränen im Augenwinkel – Wut und Enttäuschung stehen ihr ins Gesicht geschrieben: “Was ist das hier, Mama?!”
Im Tonfall “vorwurfsvolle Eltern, die ihre Sprösslinge bei irgendeiner Dummheit erwischt haben”.
Holt aus und schmeißt drei kleine Zähne vor mir auf den Esstisch.

Ich zögere, hole Luft, aber die Schuld steht mir wahrscheinlich ins Gesicht geschrieben: “Zähne?”, ein lausiger Versuch…
“Das siehst du doch! Sind das meine Zähne?!!” Die erste Träne fällt.

Ich hätte sie nicht einfach in die Schublade legen dürfen … – müßige, dumme Gedanken.
Ich nehme das jetzt schluchzende Kind in den Arm. Mir fehlen noch immer die Worte. Soll ich lügen?

Natürlich ist auch die Geschichte mit der Zahnfee eine Lüge, wenn man es genau nimmt, aber halt eine andere Art Lüge. Eine Kollektiv-Fantasie, der man als Eltern nicht entkommen kann. Denn wer sagt schon zu seinem Kind, nachdem der erste ausgefallene Zahn der besten Freundin von eine Fee mit einem seltsamen Fetisch abgeholt wurde, dass es für den eigenen Zahn leider nichts geben wird, weil es halt diese verd* Zahnfee gar nicht gibt. Und mal im Ernst, was soll auch so eine Fee mit lauter Zähnen anfangen?! Ach und übrigens, das mit dem Weihnachtsmann und dem Osterhasen ist auch totaler Unfug!
Macht man nicht, sagt man nicht, ein gutes Beispiel für gesellschaftlich akzeptiertes Lügen: Kindern unsinnige Märchen erzählen.

Aber ich schweife ab und habe immer noch keine Antwort, weil mir ein “Naja, die hat die Zahnfee aus Versehen in meine Schrankschublade gelegt!” nicht über die Lippen kommt.
Doch wie so oft, ist ein Schweigen Antwort genug. Die Verzweiflung wächst weiter.

Es ist erst wenige Monate her, da haben wir der Zahnfee gemeinsam einen Brief geschrieben und ja, die Zahfee hat geantwortet.
Sie war der Fels im magischen Glauben meiner großen kleinen Tochter. Vor ein paar Monaten wollte sie unbedingt zaubern lernen und daher wissen, an welcher Schule man das lernen könne. Auf meine Beteuerung, dass ich niemanden kennen würde, der (a) zaubern kann, ich (b) nicht wüsste, ob und wenn ja, wo es so einen Schule gibt und (c) es meines Wissen so etwas wie Magie nur in Geschichten gäbe, hat sie mir vehement wiedersprochen: “Aber die Zahnfee gibt es doch auch! Deshalb MUSS es Magie geben!” Quod erat demonstrandum.
Ich habe mich geschlagen gegeben.

Das passiert einem mit Kindern tatsächlich häufiger, als man glaubt.
Auch jetzt gebe ich mich geschlagen. Ich kann nur trösten und nicht mal dafür habe ich Worte.

Als sie sich beruhigt hat, sieht sie mich ernst an: “Ganz viele sagen, dass es keine Magie gibt”, sagt sie traurig, “jetzt bin ich eine davon.”

Und dann muss auch ich ein kleines bischen weinen, denn manchmal ist groß werden einfach nur scheiße.

Zu viel Zeit im Krankenhaus: Gedankenprotokoll (ursprünglich geschrieben am 12.01.2020)

Es gibt keine wirklichen Grund, warum der Text auf Englisch ist, außer vielleicht dass Englisch nicht meine Muttersprache ist. Ich fühle und denke weniger intensiv auf Englisch und daher war es vielleicht ein Versuch Distanz zu der Situation und den Gefühlen und Gedanken herzustellen.

Getting the words out of the system, the thoughts out of my head. The feeling out in the open. Let the fear spring free from right under the surface of my skin.
Mortality, being breakable, easily destructible, that’s what we are, that’s what we try to forget every minute of every fucking day. And then again, we cannot. It’s always creeping back in. The thought we try to supress, the feeling we don’t wanne have, the things we are eager to ignore, the wisdom of our hearts and lives. Continue reading

Ein Gedicht mit zwei Titeln

Schloss, Schlüssel, Schleuse

oder

Worte

Ach! Genau in dieser Stunde
Ist erwacht, was schlafend schien.
Reckte langsam seine Glieder,
streckte sacht die Fühler aus.
Ach, hallo da bist du wieder,
kommst aus deinem Haus heraus?!

Lang vergessen, ja fast sterbend,
schien der Wunsch, die Sucht, der Wahn,
Doch einmal geweckt – so scheint es,
gibt es kein Entrinnen mehr,
Worte fließen, strömen; brechen sich mit Macht nun ihre Bahn,
auf das unbefleckte, weiße, fast verzagt schon wartende
Papier.
Und steh’n nun
hier.

Am Tropf

Ein Tag im Krankenhaus

Routine in weiß, Kittel. Guten morgen. Jede Menge Personal. Jeder weiß was er tut, ein paar Handgriffe. Alles in Ordnung? Bis später, Klingeln Sie, wenn Sie was brauchen – na klar. Wieder warten.

Die Zeit tropft, tropft, tropft dahin. PIEP – tropf, tropf, tropf. Immer weiter, Brummen, Klappern, Schritte. Gehen vorbei an meiner Tür.

Zwischendurch: Untersuchung, Highlight des Tages – vielleicht? Zurück im Zimmer, ich schließe sie wieder an, ja? Ok – tropf, tropf, tropf.

Ablenkung hats ja genug, Technik, schöne digitale Welt. Aber trotzdem ist da das Warten und tropf, tropf, tropf, vergeht die Zeit immer weiter. Zu langsam. Das Programm langweilig, das Buch naja. Der Datenstrom macht auch nur tropf, tropf, tropf. Ein Anruf: Ach erzähl! Tropf, tropf, tropf. Mittagessen.

Es hat nicht wirklich geschmeckt, aber müde und satt ist auch ein Ergebnis und wieder ist die Zeit ein bisschen vergangen und der Tag ein bisschen älter geworden und immer noch tropf, tropf, tropf. Ein bisschen schlafen vielleicht?

Etwas tun vielleicht? Oder ruhen vielleicht? Gehen geht nicht, definitiv und warten muss man, auf jeden Fall. Ich weiß schon, sagt der Tropf: tropf, tropf, tropf. 63ml die Stunde, er weiß es genau. Zwischendurch PIEP.

Wieder warten, manchmal lauschen. Oder horchen, in Gedanken, etwas treiben lassen. Nicht motivierend, sagt der Tropf, aber er macht weiter: tropf, tropf, tropf.

Das wirkliche Highlight: Familie und Kuscheln, ohne Tropf, tropf, tropf, der muss warten. Darf später weiter machen.

Später wieder allein, das Abendbrot vorbei, das Fernsehprogramm schlecht, die Internetverbindung auch. Immer noch tropft der Tropf: ein bisschen Geduld noch, murmelt er vor sich hin. Tropf, tropf.

Dunkel ist es auch schon: Schönen Abend, ich bin die Nachschwester, sie wissen ja. Ich weiß. Ausgetropft für heute, aber das macht es nicht besser, denn die Nach ist alleine zu lang. Auch wenn alle zwei Stunden einer die Tür öffnet.

Wo sind die Kinderköpfe auf meinem Kissen. Die kleinen Hände, die an meiner Decke ziehen? Ist einsam ohne die Stimmchen, die nach noch einer gute Nachgeschichte verlangen. Aber schlafen ist ok, denn es bringt mich – tropf, tropf, tropf – ein Stückchen nach Hause.

Der Wolf und das Rotkäppchen

Der Wolf sah das kleine Mädchen den Waldweg entlang spazieren. Er hielt die Luft an und drückte sich tiefer ins Unterholz, hoffentlich bemerkte ihn dieser seltsame kleine Mensch nicht. Der Kopf leuchtete in roter Signalfarbe und alles schrie laut: “Gefahr! Lauf um dein Leben!”, doch er verharrte. Bewegungslos. Atemlos.

Endlich war sie vorbei, der brennende Geruch von Mensch verflog und er konnte sich wieder auf die Spur des Kaninchen konzentrieren, dessen Duft lieblich seine Nase kitzelte. Jagen und Töten. Die Nase dich am Boden trabte er los, auf lautlosen Pfoten durch den dunkler werdenden Wald. Doch da war ein Licht, es leuchtete durch die Bäume und flackerte gefährlich, wie ein Warnzeichen. Der Wolf zögerte, sollte er die Spur kalt werden lassen? Er hatte solchen Hunger.

Geduckt schlich er weiter. Dort stand ein Haus, die Kaninchenspur schien direkt darauf zuzuführen oder daran vorbei? Noch ein Schritt, auf leisen Sohlen … “PENG!” Continue reading

Regnerische Sonntagnachmittage…

schleichen dahin von Popmusik untermalt und von Kinderstimmen durchdrungen. Das elterliche Gemüt spiegelt den grauen Himmel. Der Wunsch nach der kindlichen Bettzeit wird von lautem Kindergeheul verstärkt, während das Näherrücken des Sonntagabends auch den Wochenanfang in greifbare Nähe rückt. Und damit den alltäglichen Stress, den Spagat zwischen Arbeit und Abholzeit, zwischen Kinderspielplatz und Kitastart, zwischen Hausarbeit und Häuslichkeit.

Das Wohnzimmer finden derweil ein Szenenwechsel statt. Die Schleichtiere weiden zwischen bunten Holzklötzen, während die Sofakissen ihren gemütlichen Ruheort nach und nach verlassen, um sich dazuzugesellen. Der Couchtisch wird zu einem Auto – Nein das ist ein Boot, Mama! – umfunktioniert. Welches auf einer Straße, Entschuldigung, Wasserstraße lautlos dahingleitet begleitet von Kindergeschrei. Es werden Betten bebaut und diverse Küchenutensilien finden einen Platz zwischen den Bauklötzen. Barrierefreiheit ein fremdes Wort für ein völlig irrsinniges Konzept. Und wird auch nicht angestrebt.

Warum fällt es uns Erwachsenen so schwer, sich auf das kindliche Spiel einzulassen? Einfach mal mitzuspielen, in das Boot klettern und als Pirat davon segeln. Nicht an morgen oder gestern denken. Den Geschirrspüler ignorieren und das „Eigentlich könnte ich ja noch mal schnell“ vergessen. Wir beobachten das kindliche Spiel mit einem Lächeln und voller Sehnsucht und sind doch kaum in der Lage ein Teil davon zu sein. Schaffen es nur für Minuten, kaum Viertelstunden. Und ziehen uns dann wieder erschöpft zurück.

Regnerische Sonntagnachmittage, voller Fantasien und Träume. Voller Sehnsucht und Geschichten, bunt genug den grauen Himmel für einen Augenblick zu vergessen. Leuchtende Kinderaugen, die das Herz wärmen. Und manchmal für ein paar Minuten lassen auch wir den Alltag zurück und versinken zwischen Bauklötzen und Sofakissen im Meer.

A breastfeeding journey

Eine ganz persönliche Geschichte und eine Herzensangelegenheit. Weil ich hoffe und glaube, dass das folgende Zitat, dass ich letztens gelesen habe stimmt: “Auch du kennst wahrscheinlich mehr stillende Kleinkinder, als dir bewusst ist.” – Natürlich unter der Vorraussetzung, dass du überhaupt irgendwelche Kleinkinder kennst ;)

 

Liebe Sarah,

19 Monate und 12 Tage ist es nun her, dass wir unsere Stillbeziehung begonnen haben. Wir haben Glück gehabt, wir hatten einen guten Start, ein gutes Geburtserlebnis, viel Zeit für Bonding und kompetente Hilfe. Wusstest du, dass du in einem der Babyfreundlichsten Krankenhäuser Deutschlands geboren wurdest? Ich damals auch nicht. Es war also kein Problem, dass ich mir vorher nicht viele Gedanken über das Stillen gemacht hatte. Und obwohl es schon viele Dinge gibt, die ich vielleicht gerne vorher gewusst hätte.. Aber das ist ja auch gar nicht so wichtig.

Kannst du dich daran erinnern, wie du mit großen wachen Augen auf meinem Bauch lagst und wir uns ganz entspannt an das erste Stillen gewagt haben? Continue reading

Über englische Innnestädte

Ich persönlich gehe nicht sehr selten gerne einkaufen, egal ob es sich um Lebensmittel oder Klamotten handelt. Deshalb finde ich Internetshopping eigentlich ziemlich toll, man sollte sich halt nicht dauernd Kistenweise Zeug bestellen, dass man nicht braucht, um es dann wieder zurückzuschicken. Das ist weder finanziell noch ökologisch irgendwie sinnvoll. Aber den Wochenendeinkauf online machen ist sooo enspannt.

Aber ich komme vom Thema ab. Continue reading

Teekesselchen

Kennt ihr dieses Spiel, bei dem man ein Wort erraten muss, dass mehrere Bedeutungen hat. Sowas ähnliches spielt Sarah gerade mit uns, nur dass wir nicht die Wörter sondern deren Bedeutung erraten müssen. Der Schwierigkeitsgrad variiert kontextabhängig.

Beispiele gefällig?

putze/puutze/pütze (Nuancen in der Aussprache sind leider nicht immer klar zu unterscheiden):

  • Mütze (und alles was Kopfbedeckung ist auch Handtücher z.B.)
  • putzen (Zähne putzen oder auch allgemein irgendetwas putzen)
  • pusten (Kerzen auspusten ist gerade ganz spannend, oder pusten weil man “AUA” hat)
  • Bücher (ja ich weiß, kanns mir auch nicht erklären. Hier macht sie allerdings meist das Zeichen dazu, sodass man weiß, was sie meint.)

Titsche/Titze (Dieses Wort hat seinen Ursprung in einen lauten “Hatschi”, das ein Marienkäfer con sich gibt, der in einer Pfütze sitzt – ja Kinderbücher halt. Das erklärt vielleicht die erste Bedeutung, die zweite – keine Ahnung.):

  • Taschentuch
  • Wasser

Tetse

  • Kekse
  • Käse (Praktischerweise macht sie bei beiden jeweils noch das Zeichen dazu. Außerdem holt sie den Käse meist selber aus dem Kühlschrank. An die Kekse kommt sie nicht alleine, aber wo sie liegen ist natürlich kein Geheimnis)

Ma/Maa

  • Banane
  • mehr/noch mal (Essen, Spielen, Schaukeln, … häufig im Einsatz und zumeist mit Ausrufezeichen)
  • malen
  • Kuh (die macht nämlich MAAAA bei Sarah)

Papa

  • Papa
  • Papagei
  • Paprika
  • aber meistens doch Papa ;)

Status update: Nachdenklich

Vor einigen Monaten ist mir mal ein Blogtext über den Weg gelaufen, indem es um Erwartungen an Kinder ging und auch darum, dass man sich nach der Geburt von der Vorstellung lösen muss, die man sich während der Schwangerschaft von seinem Wunschkind gemacht hat. Als ich den Text las, dachte ich ‘Alles kein Problem’, und hab das Thema ad acta gelegt – bis heute.

Heute ist mir klar geworden, wie wichtig dieser Gedanke tatsächlich ist. Und wie viele Erwartungen man unbewusst hat, ohne sie benennen zu können. Erst wenn sie nicht erfüllt werden und wir “enttäuscht” sind, merken wir auf einmal, das wir uns das anders vorgestellt haben.

Ich liebe unser kleines Mädchen über alles, aber irgendwie hat es mich in den letzten Wochen immer genervt, dass sie so schüchtern und ängstlich ist. Eigentlich kein Problem, jedes Kind ist schließlich anders, aber irgendwie habe ich es doch als Problem empfunden, mit anderen drüber gesprochen, kritisch darüber nachgedacht. Bis mir heute klar geworden ist: Das ist gar nicht Sarahs Problem. Sarah ist, wie sie ist und das ist genau richtig so. Nur ich habe irgendwo in meinem Kopf dieses Bild von einer imaginären Ronja-Räubertochter-Tochter herum spuken, die ich gerne hätte. Ein kleines mutiges Draufgängermädchen, das den Grausedruden trotzt und keine Angst vor Marienkäfern hat. Ich werde also ein bischen an mir arbeiten müssen, Sarah Sarah sein lassen und Ronja Ronja.